Argentiniens Misere: Vom Anstehen und anderen Rätseln

Argentinien hat eigentlich gute Voraussetzungen. Dass es schon einmal ein wohlhabendes, mindestens ein Schwellenland war, sieht man allenthalben an einer inzwischen zwar verkommenen, aber einst großzügig ausgebauten Infrastruktur.

Durch Weinanbaugebiete fahrend, konnte ich riesige Fincas bewundern, weit zurückgesetzt von der Straße, mit prächtigem Portal und gepflegten Grünanlagen. Ein Zufahrtsweg führt zu dem Landsitz, der sich in seiner Prachtentfaltung mit den größten Weingütern Frankreichs messen kann.

Schon vorher, in der Provinz Salta, sah ich Haziendas, an denen das Problem schlecht verteilten Wohlstandes direkt ablesbar war: Zurückgesetzt ein Prunksitz, riesige Rinderherden und Angestelltenhäuser direkt an der Straße, die mehr oder weniger ärmlich aussahen. Dort wohnen wohl die Gauchos.

Wenn ich chronische Unzuverlässigkeit und mangelnde öffentliche Ordnung beklage, spreche ich ein Problem an, das die Gesellschaft hier lähmt. Meine Klage wird mit Kopfnicken bedacht, wenn ein Local genauso davon betroffen ist. Sonst wird mit Gleichmut gewartet, sich in Warteschlangen eingereiht. Man lebt damit, dass einfachste Verrichtungen Zeit in Anspruch nehmen und sogar mit der Ungewissheit, ob sie überhaupt heute erledigt werden können.

Wenn ich zum Geldholen anstehen muss, ist die einzig tröstliche Begleiterscheinung des Schlangestehens, dass es hier wohl welches gibt. Die Verwaltungsvorgänge sind so umständlich und langwierig, dass hier wirklich sehr viel Zeit verloren geht.

Ein Kuriosum ist, dass der offizielle Wechselkurs für den Peso so niedrig ist und die Wechselgebühren so horrend, dass Argentinien ein europäisches Preisniveau hätte, wäre da nicht ein Kniff: Man beschafft sich Bargeld, indem man es sich selbst über den Finanzdienstleister Western Union schickt. Warum sich dann die Tauschrate verdoppelt habe ich nicht verstanden. Aber ich habe gern hingenommen, dass sich die Kosten halbiert haben.

Die beschriebene Merkwürdigkeit bringt auch unsre Zahlungsgewohnheiten in Schieflage: Wird an allen Finanzplätzen der westlichen Welt die Abschaffung von Bargeld diskutiert, sind es hier die Touristen, die der Kartenzahlung aus dem Weg gehen. Einerseits ein Problem, wenn man im Internet zahlen will, ja auch oft muss, andererseits deshalb, weil der größte Geldschein gerade mal einen Wert von 3€ besitzt. Das ganze Elend wird dann offenbar, wenn man im Western Union Shop das abgehobene Geld rein praktisch, ohne Zählmaschine, nicht einmal nachzählen kann. Trotzdem ist es hier, wie in allen südamerikanischen Ländern so, dass auch bei der Bezahlung von Bagatellbeträgen der Ladenbesitzer oft zum Wechseln in die Nachbarschaft geht. Gehen muss? Mir ein Rätsel.

There are no comments on this post.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: