Archive for Dezember 2022

Alltäglichkeiten
Dezember 22, 2022

… und abends andersrum.

Abfahrt durch den Farbkasten
Dezember 22, 2022

Nüchtern betrachtet sind die bunten Landschaften, durch die ich da fahre, nur ein Indiz für den enormen mineralischen Reichtum dieser Gegenden.

Auf meinen Bildern fällt mir auf, wie emotional mein Sehsinn diese Landschaften wahr nimmt. So wenig wie die spanische Bezeichnung „Quebrada“ für „gebrochen“ oder substantivisch für „Schlucht“ ihren Farbenreichtum abbildet, so viel weniger bunt erscheinen mir die Aufnahmen mit der nüchternen Kamera.

Link auf youtube: Abfahrt vom Paso de San Francisco durch den Farbkasten der Quebrada Los Lozas (RN 60 Catamarca): https://youtu.be/2Vatrq_ou9Y

Auf allen Bildern ist immer sehr viel brauner Rand zu sehen. Mein Auge saugt sich an das Farbenspiel in Bildmitte heran und der Kopf obendrüber ist begeistert.

Argentiniens Misere: Vom Anstehen und anderen Rätseln
Dezember 22, 2022

Argentinien hat eigentlich gute Voraussetzungen. Dass es schon einmal ein wohlhabendes, mindestens ein Schwellenland war, sieht man allenthalben an einer inzwischen zwar verkommenen, aber einst großzügig ausgebauten Infrastruktur.

Durch Weinanbaugebiete fahrend, konnte ich riesige Fincas bewundern, weit zurückgesetzt von der Straße, mit prächtigem Portal und gepflegten Grünanlagen. Ein Zufahrtsweg führt zu dem Landsitz, der sich in seiner Prachtentfaltung mit den größten Weingütern Frankreichs messen kann.

Schon vorher, in der Provinz Salta, sah ich Haziendas, an denen das Problem schlecht verteilten Wohlstandes direkt ablesbar war: Zurückgesetzt ein Prunksitz, riesige Rinderherden und Angestelltenhäuser direkt an der Straße, die mehr oder weniger ärmlich aussahen. Dort wohnen wohl die Gauchos.

Wenn ich chronische Unzuverlässigkeit und mangelnde öffentliche Ordnung beklage, spreche ich ein Problem an, das die Gesellschaft hier lähmt. Meine Klage wird mit Kopfnicken bedacht, wenn ein Local genauso davon betroffen ist. Sonst wird mit Gleichmut gewartet, sich in Warteschlangen eingereiht. Man lebt damit, dass einfachste Verrichtungen Zeit in Anspruch nehmen und sogar mit der Ungewissheit, ob sie überhaupt heute erledigt werden können.

Wenn ich zum Geldholen anstehen muss, ist die einzig tröstliche Begleiterscheinung des Schlangestehens, dass es hier wohl welches gibt. Die Verwaltungsvorgänge sind so umständlich und langwierig, dass hier wirklich sehr viel Zeit verloren geht.

Ein Kuriosum ist, dass der offizielle Wechselkurs für den Peso so niedrig ist und die Wechselgebühren so horrend, dass Argentinien ein europäisches Preisniveau hätte, wäre da nicht ein Kniff: Man beschafft sich Bargeld, indem man es sich selbst über den Finanzdienstleister Western Union schickt. Warum sich dann die Tauschrate verdoppelt habe ich nicht verstanden. Aber ich habe gern hingenommen, dass sich die Kosten halbiert haben.

Die beschriebene Merkwürdigkeit bringt auch unsre Zahlungsgewohnheiten in Schieflage: Wird an allen Finanzplätzen der westlichen Welt die Abschaffung von Bargeld diskutiert, sind es hier die Touristen, die der Kartenzahlung aus dem Weg gehen. Einerseits ein Problem, wenn man im Internet zahlen will, ja auch oft muss, andererseits deshalb, weil der größte Geldschein gerade mal einen Wert von 3€ besitzt. Das ganze Elend wird dann offenbar, wenn man im Western Union Shop das abgehobene Geld rein praktisch, ohne Zählmaschine, nicht einmal nachzählen kann. Trotzdem ist es hier, wie in allen südamerikanischen Ländern so, dass auch bei der Bezahlung von Bagatellbeträgen der Ladenbesitzer oft zum Wechseln in die Nachbarschaft geht. Gehen muss? Mir ein Rätsel.

Radl-Gesundheit
Dezember 19, 2022

Da hab ich tütenweise Mittelchen dabei, denn es könnte ja sein, dass ich mir was einfange auf dem zugigen Radl… Aber nein, Radeln ist gesund und trotz des Schweißes geht es mir gut. Eine Laufnase habe ich immer und das Einzige, was mich wirklich piesakt, sind meine ausgetrockneten Lippen, die trotz intensiver Pflege nicht heilen wollen.

Aber zum Thema, mein Partner, der ständig getretene Kumpel, der all mein Gepäck auf seinen Alu-Rippen trägt, leidet schon gewaltig unter dieser Tour. Obwohl ich ihm wirklich oft die Kette schmiere, ich ihn putze, wenn ich nur kann, fängt er sich immer wieder echte Probleme ein. Ein Doktor muss her. Der Russo in Cuzco war ein Radlversteher, der Javier Paz in Salta scho net ganz so und teuer war der auch gemessen daran, dass der Gauchito Gil in Belèn, 450km weiter, grad mal 1/10 davon wollte und nachgebessert hat, bis die Ursache für das Gestöhne meines Ghost wirklich beseitigt war.

Sergio sucht von leicht nach schwer.

Wer jetzt den Sergio, mit Künstlernamen Gauchito Gil kennenlernen will, diesen Robin Hood der Radreisenden, der muss das Kapitel „Totenkult“ lesen.

… a puncto …
Dezember 12, 2022

… heißt im Spanischen nur „um“ und für uns hört es sich an, als würde es heißen „pünktlich um“. Dass das überhaupt nicht der Fall ist, weil es wohl das Wort „pünktlich“, zumindest in Argentinien, gar nicht gibt, zeigt folgende Anekdote von der Abholung meines Rucksacks bei einem Bustransportunternehmen.

In Argentinien ist Pünktlichkeit noch viel weniger bekannt als im Rest des von mir bisher bereisten Teil Südamerikas. Unpünktlichkeit ist hier so drastisch, dass man sich auf nichts einstellen kann. Wenn ich irgendwo hin komme, um einen Dienst in Anspruch zu nehmen, frage ich in der Umgebung, wann denn die zuständige Person aufkreuzen würde, denn Öffnungszeiten sind nirgends angeschrieben.
Es kostete mich eine Weile, zu durchblicken, dass ich dann immer die nächste volle Stunde zur Antwort bekomme. Wenn ich zwischen 5 und 6 irgendwo aufkreuze, dann kommt der Diensthabende um 6, bin ich nach 6 dran um 7 und so weiter.
In Perú ging alles immer ganz schnell, weil der, den ich fragte immer gleich zu organisieren begann und weil es ein „außer Dienst“ nicht gab.
In Chile war man da schon gleichgültiger und nahm es mit der Antwort nicht so genau, wann geöffnet werden würde.
Doch der Gipfel ist hier: Fast den ganzen Tag sind die Geschäfte und Büros geschlossen, Öffnungszeiten gibt es nicht und wären eh Makulatur, weil sie nicht eingehalten würden und in den fortgeschrittenen Abendstunden wirst du vertröstet, die Person käme ganz bestimmt, was nicht stimmen muss.

Da sitze ich nun hier, bei 32°C im Busbahnhof von Belèn, habe meinen Rucksack schon durch die Fensterscheiben des Busunternehmens erspäht, es ist mittlerweile 20:30 Uhr und komme an mein Gepäck nicht ran. Die Zikaden kennen nur zwei Töne, das Zweigestrichene Cis, das sich wie ein Pfeifton anhört und darüber das Reibgeräusch einer anderen Gattung. Das ganze ist so ohrenbetäubend laut, dass es stresst.

Ich warte es mal ab, ob die nächste mir genannte Ankunftszeit meines Agenten zutreffender ist: Immerhin stammt diesmal die Angabe von ihm selbst, nachdem ihn ein, mit mir mitfühlender, Kollege angerufen hat: „Nueve y media“
Ja, hier wird bis spät in die Nacht gearbeitet!

PS: Der Mitarbeiter kam tatsächlich noch in dieser Nacht, nur nicht um 21:30 Uhr, sondern um 22:40 Uhr. Mein Humor war aufgebraucht.

Totenkult
Dezember 11, 2022

In ganz Südamerika scheint es üblich zu sein für Verkehrstote am Straßenrand eine kleine Gedenkstätte aufzubauen.

In Peru hat mich entsetzt, dass es auf den Bergstraßen kaum einen Kilometer ohne so ein Marterl gibt. Recht plastisch wird einem da in Bildern vor Augen geführt, wer da alles sein Leben ließ. Oft, zu oft, wurden ganze Familien ausgelöscht.

Zumindest auf dem Altiplano sind in Bolivien Unfälle vermutlich weniger folgenschwer, weil die Straßen so schlecht sind, dass auch Autos nicht schnell fahren können.

In Chile sind, am viel geringeren Verkehr gemessen, noch viel mehr solche Gedenkstätten zu sehen. Typischerweise in jeder Kurve, die wohl klassischer Weise nach kilometerweiter Geradeausfahrt verpasst werden. Das markabre Detail war dort, dass die Wrackteile noch herumlagen. Manchmal wurden sie auch in die Gedenkstätte integriert. Von Weitem war oft ein Steinmann mit einem indigen anmutendem Kopf zu sehen, der die Aufmerksamkeit auf die eigentliche Gedenkstätte richtete.

Hier bekam der Verunglückte scheinbar sogar ein „neues“ Auto.

In Argentinien fielen mir zwei Besonderheiten der Schreine am Straßenrand auf. Einmal gibt es welche, an denen sich Wasserflaschen stapeln (weil sie wie Müllhalden aussehen, hab ich sie erst gar nicht fotographiert) und andere sind völlig in Rot gehalten und mit roten Fahnen und Wimpeln geschmückt. Im Internet (lateinamerika.reisen) fand ich die Erklärungen dafür:

Die vielen, vielen mit Wasser gefüllten Flaschen sind Opfergaben an die Difunta Correa, eigentlich María Antonia Deolinda y Correa, die 1841 auf der Suche nach ihrem Mann angeblich in der Wüste Argentiniens verdurstet ist. Ihr Kind jedoch überlebte, saugend an der Brust der toten Mutter …
Es war die Zeit des Bürgerkriegs in Argentinien, als Mariá ihr Kind zur Welt brachte. Weil ihr Mann von spanischen Soldaten verschleppt worden war, wollte sie ihm durch die Wüste folgen. Maultiertreiber sollen die Frau Tage später dort tot aufgefunden haben, ihr Baby aber hatte wie durch ein Wunder überlebt. Und so lassen Menschen, die an Heiligenschreinen für Difunta Correa vorbeikommen, der Verdursteten Wasserflaschen zurück.

In Wüsten, wo es keine Bäume gibt, wird fast ausschließlich der Difunta Correa gehuldigt.

Nicht weniger verehrt wird Gauchito Gil – Gil, der kleine Gaucho, der um 1840 als Antonio Mamerto Gil Núñez in Mercedes in der Provinz Corrientes geboren wurde. Er war Landarbeiter; nicht bewiesen ist, dass er ein Verhältnis zu einer reichen Witwe hatte. Wegen dieses Vorwurfes geriet er in Schwierigkeiten, denen er entging, indem er sich der Armee anschloss. Später versteckte er sich im Wald und soll Reiche bestohlen und den Armen gegeben haben. Ein argentinischer Robin Hood also. 1878 wurde er gefangen genommen, kopfüber an einen Baum gehängt und gefoltert.
Als der Henker ihm die Kehle durchschneiden wollte, sagte Gil zu ihm: Dein kranker Sohn wird gesund werden, wenn zu mir beistehst – andernfalls wird er sterben … Doch der Henker vollendete seinen Befehl trotz der Warnung. Und wirklich: Zuhause fand er seinen Sohn todkrank vor. Also betete er doch noch zu Gauchito Gil – und der Sohn wurde gesund.

Erst hab ich schon gedacht, das wäre ein Säufer gewesen, weil ihm eine Weinflasche (links am Häuschen) mitgegeben wurde.

Mittelgebirge in der Provinz Jujuy
Dezember 5, 2022

Von Purmamarca, dem farbenfrohen Städtchen am „Ende“ der Andenüberquerung mussten ersz einmal Kilometer geschrubbt werden, ca. 100, also eine ganze Tagesetappe lang, bevor die Straßen wieder Kurven bekamen und die Fahrt durch eine entzückende Mittelgebirgslandschaft in die Provinz Salta führte und in die gleichnamige Hauptstadt allda.

Über die Anden
Dezember 5, 2022

Eigentlich wollte ich die Anden von San Pedro de Atacama aus nicht auf Asphalt überqueren, eigentlich! Aber dann erfuhr ich aus Radlerkreisen, dass der Grenzübergang am Paso Sico für Extranjeros nicht mehr geöffnet ist. Mehrere Radler, die’s nicht glauben wollten, seien schon umgekehrt, 200km zurück auf Los. Darauf hatte ich nun wirklich keine Lust (siehe Grenztheater).

So musste es nun über den etwas höheren, dafür asphaltierten Paso Jama gehen. Der ist eigentlich nicht höher als der Paso Sico, aber um ihn zu erreichen, muss man über 4837m und später über 4839m, um nur die größten Hübbel zu nennen.

Mein Zusatzgewicht, den Rucksack mit den Bergsteigersachen, wollte ich da ungern mit hoch wuchten und nachdem das Mitschicken im grenzüberschreitenden Verkehr nicht geht, hab ich versucht einem (wildfremden) Passagier mein Gepäck aufs Auge zu drücken.

Das gelang mir nur mit dem Unglück anderer: Andras, ein in UK lebender Ungar, hatte nämlich das Pech, sein Rad von Air France komplett ruiniert zu bekommen. Entsprechend hatte er – nun als Busreisender, trotz unverminderter Trauer um sein Radl – ein Herz für Radfahrer, also mich.

Beflügelt von meinem Glück fuhr ich die ersten 900 Höhenmeter in 2 Stunden aus dem heißen San Pedro hinaus, bis ich auf 3300m eine zusätzliche Schicht anziehen musste. Der Rest gestaltete sich wesentlich zäher. Am Ende des Tages wurden sogar 2400 Aufstiegshöhenmeter daraus, weil ich das Etappenziel auf der Suche nach einem Windschutz bis kurz vor den ersten Kulminationspunkt verschob.

Immer Steinwüsten, eine trockener und vegetationsloser als die nächste, nicht enden wollende Überquerungen oder Vorbeifahrten an Salaren (letztere sind wenigstens von Vicuñas und manchmal von Flamimgos bevölkert). Ich sehnte mich nach einem Landschaftswechsel, doch auf argentinischer Seite ging es erst einmal so weiter.

Ich war hinter der Grenze wieder mal auf Windschutzsuche und kam im Gegenwind schon kaum mehr voran, da hielt ein Minero neben mir, der mich hinter einem Steinhaufen zurück auf die Piste gondeln sah: Da könne ich lange suchen, etwa 80km. „?Willst du mitfahren?“ Hab ich ja gesagt? Jedenfalls haben wir mein Rad auf seinen Pickup verladen und erst wenige Kilometer bevor mich abgesetzt hat, änderte sich wunschgemäß die Landschaft .

In einem hatte der Lithiumschürfer nicht recht: Die dunklen Wolken bringen wirklich auch Niederschläge. Der nächste Tag begann im Schneetreiben. Später, im Regen, hatte er eine geniale Anfahrt durch einen Canyon zu bieten. Dann frustrierte er in einer dann doch wieder nicht enden wollenden Ebene (mit Salar) mit einem heftigen Regenguss und mit auflebenden Winden von … natürlich, von vorn. Das Gelände verengte sich und – Bernoulli hatte Recht – das macht den Wind nur heftiger. Kurz vor dem Pass auf 4190m noch ein Schneeschauer, wer hat Vergnügungssteuer gezahlt?

Auf der anderen Seite war der Wind fast weg. Wo der wohl hin ist oder her kam? Eine – allen Schichten zum Trotz – saukalte, aber der besten Abfahrten meines Lebens begann:

Runter vom Altiplano
Dezember 4, 2022

Mit Ton runter vom Thron