Ausflug ins Gebirge

Die Berge reichen ganz an Lima ran. Dort leben nicht etwa, wie bei uns, diejenigen, die es sich leisten können über dem Smog zu bauen, sondern eher der untere Rand der Stadtbevölkerung. Wie Schwalbennester sind die Hütten an die steilen Hänge geklebt. Der Untergrund ist von zweifelhafter Festigkeit, aber ohne Regen wäscht es halt auch nichts herunter. In manchen dieser Viertel sind die Hütten bunt getüncht und erzeugen so ein eher fröhliches Bild.

Um dem Nebeleinheitsgrau zu entfliehen, bin ich nach Canta, einem Städtchen auf 2800m, gefahren. Die Fahrt dorthin war aufregender als der Aufenthalt dort. Am Terminal Norte glaubte ich schon meine Pläne seien gescheitert, als ich erfuhr, dass die Busgesellschaft, die Canta anfuhr, die Linie nicht mehr betreibt. Kaum war ich aus dem riesigen Gebäude nach draußen gekommen, wussten schon die ganzen Taxifahrer wohin ich wollte und witterten ein Geschäft. Ich bestieg jedoch noch einmal die Metro um an deren Endbahnhof zu fahren und von dort zu einem Punkt zu gelangen, den die Einheimischen Pollo (Huhn) nennen, aber auf den Bussen mit Kilometro ventidos (km22) angegeben ist. Das Problem für den Fremden ist, dass es für fast alles verschiedene Bezeichnungen gibt. Schon den großen Fernbushub zu finden, der „Plaza Nort“ heißt, gelang mir nicht auf Anhieb, weil die Metrostation „Tomas Valle“ heißt. Dass ich zum km22 wollte, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Ich dachte ich will nach Comas, nicht wissend, das Comas ein ganzer Stadtteil ist und deshalb kein Busbahnhof oder ähnliches. Ich fuhr mit einem Bus in die richtige Richtung, bis mir mein Gefühl sagte, ich solle mal lieber aufpassen nicht über das Ziel hinaus zu fahren. Also radebrechte ich einen Passagier an (in diesem Bus waren verdächtig wenig Menschen) und der bestätigte mir nach Rücksprache mit dem anderen Passagier, dass ich im falschen Bus sei. Er stieg mit dem Rest der Passagierinnen aus und der Gewährsmann bedeutete mir, das mache nichts, wenn ich nur bis zur nächsten Kreuzung laufen würde und da den Bus mit Aufschrift Kilometro ventidos nehmen würde. Kurioserweise hatten die Aufschrift mehrere Busse, ich durfte aber nur eine ganz bestimmte Farbe von Bus nehmen. Als der mich dann absetzte, als ich damit herausrückte, dass ich nach Canta wolle, riefen die Männer in der Umgebung alle „Canta, Canta, Canta“, setzten mich in einen Toyota Yaris und füllten ihn mit einem Pärchen aus Lima auf und einer schweigsamen Frau, die wenig später noch dazu stieß. Erst auf der Rückfahrt hab ich kapiert, dass jeder Neuankömmling laufstark mit der Destination des nächst zu befüllenden Collectivos begrüßt wird. Das geschieht immer so – unterstrichen von „Arriva, Arrival, arriva“-Rufen, was man wohl mit Dalli-dalli übersetzen müsste – dass man den Eindruck bekommen könnte, man müsse sich schicken. In Wirklichkeit werden die Sammeltaxis immer erst voll gemacht, bevor sie ablegen.

So chaotisch, wie die ganze Erzählung, selbst in dieser gestraffter Form, klingt, so chaotisch empfand ich diese Reise. Nun sollte der entspannte Streckenabschnitt kommen. Noch befanden wir uns unter dem Nebel, noch war Canta 60km entfernt.

Das Nationalessen in Peru, vielleicht auch darüber hinaus, ist Pollo con Aros (Huhn mit Reis). Natürlich kann man das in verschiedenen Varianten haben, aber ein Huhn muss immer dran glauben. Jetzt hätte man hoffen wollen, dass die aus zertifiziert ökologischem Anbau kommen, aber weit gefehlt. Sie kommen aus Hühnchenfabriken, wie bei uns auch. Nur eines unterscheidet die Produktion von der europäischen, die Produzenten leben genauso eingepfercht wie ihre Produkte. Die Behausungen der Arbeiter auf den Hühnerfarmen schauen sogar eher heruntergekommener aus als die der Hühner. Zum Ausgleich dürfen die Arbeiter zum Arbeiten raus, die Hühner nicht. Also vom Gerechtigkeitsstandpunkt aus gesehen, geht es den Hühnern in Peru besser als in Deutschland.?

Canta präsentiert sich entlang der Durchfahrtsstraße als Touristenziel.

In Canta angekommen, habe ich erstmal Mittag gegessen und den Fahrer vom Gedanken abgebracht mich jetzt gleich noch wo anders hin fahren zu wollen. Dann verfolgte ich die nicht so gute Idee zu Ausgangspunkt für die Wanderung zu laufen. Eigentlich hätte ich es wissen müssen: Der Reiseführer gab für 17km und 800m Höhendifferenz 3-4 Stunden an. Dazu hätte ich joggen müssen. Dazu kam, dass ich nicht immer den günstigsten Weg gefunden habe. Der Umstand, dass die ersten 10km auf Asphalt waren, sprach eigentlich dagegen von Canta aus zu starten. Erst dort wurde die Wanderung wirklich interessant: Zwischen Kakteen und sonstigen Dornensträuchern, die teilweise wunderschön blühten, ging ich durch eine fast völlig stille Natur.

Nach einigen hundert Metern Höhengewinn querte ich einen tiefen Bewässerungskanal, der die ganzen Hänge ringsherum mit Wasser versorgt. Auf einer Piste, die weiter oben den Hang quert begegnete ich Indigenen zu Pferd.

Mit wenig Gefälle den Hang querend.

Schließlich erreichte ich auf 3660m die Ruinen von Cantamarca, wo jährlich ein Fest abgehalten wird, das in den Überresten dieser Inkasiedlung Spuren hinterlassen hat.

2 Antworten

  1. Danke für den schönen, eindrucksvollen Bericht und die noch schöneren Bilder in deinem Eintrag. So kann ich langsam schon einen Einblick davon bekommen, was ich im Oktober selbst erleben darf. Ich kann es kaum erwarten und freu mich sehr darauf, das alles mit dir zusammen zu entdecken. 😊👍🥰

  2. Sieh an, auch die Inkas hatten Waalwege! Schon echt interessant; scheinbar war Wasserbewirtschaftung eine der Kulturtechniken, der die Menschen von Anbeginn die meiste Aufmerksamkeit gewidmet haben. Jedenfalls findet man (auch gerade eben verstärkt, weil aufgrund der Dürre überall archäologisch wichtige Stätten zum Vorschein kommen) allüberall solche Artefakte, die zeigen, dass der Umgang mit Wasser in Hochzivilisationen nicht verschwenderisch, sondern gezielt & maßvoll organisiert war/ist.
    Es grüßt dich herzlich deine kleine Schwester!

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